Verbindungen zwischen Literatur/literarischem Schreiben und Psychotherapie

Als angehende Psychotherapeutin interessiere ich mich für die zahlreichen Verbindungen zwischen Literatur/literarischem Schreiben und verschiedenen Psychotherapierichtungen. In diversen Psychotherapien wird die Beschäftigung mit Literatur oder auch unterschiedliche Methoden des kreativen oder literarischen Schreibens eingesetzt.

In der Bibliotherapie arbeiten TherapeutIn und KlientIn ganz gezielt mit bestimmten Texten, anhand derer die Problematik der KlientInnen besprochen werden kann. Die Konflikte der ProtagonistInnen stehen hierbei stellvertretend für Konflikte im Leben der KlientInnen. Dem Durcharbeiten dieser stellvertretenden Konflikte durch aktives Lesen wird eine gewisse karthartische Funktion zugeschrieben, die für das Leben der KlientInnen genutzt werden kann.

Mit dem Begriff Poesietherapie wird jegliches therapeutische Verfahren bezeichnet, bei dem durch Schreiben versucht wird, den subjektiven Zustand der KlientIn zu verbessern. Dies wird auch Therapeutisches Schreiben genannt. Es kommt in unterschiedlichen Psychotherapierichtungen zum Einsatz. In der kognitiven Verhaltenstherapie werden beispielsweise Zwangsgedanken in Form von Tagebüchern oder Protokollen aufgeschrieben. In der Expositionsbehandlung von Traumaopfern werden ganze Traumanarrative niedergeschrieben. In der Familientherapie arbeitet man mit Briefen an die anderen Familienmitglieder etc.

In all diesen Methoden zeigt sich eine gewisse Nähe zur Psychoanalyse: Die Gestaltung und Durcharbeitung belastenden Materials dient als Mittel der Erleichterung und Befreiung, als Möglichkeit, Geschehnisse aus größerer Distanz heraus zu betrachten und zu einer neuen Sicht zu gelangen. Aus der Psychoanalyse wurden auch verschiedene Techniken ins therapeutische Schreiben übertragen, die um andere Aspekte erweitert wurden. Alle Techniken können zu den expressiven und kreativen Methoden gezählt werden.

Techniken des therapeutischen Schreibens:

Freie Assoziation der Psychoanalyse: man könnte sie auch als Brainstorming mit einem tieferen Sinn bezeichnen. Ausgehend von bestimmten Reiz- oder Schlüsselwörtern wird spontan schriftlich assoziiert. Danach wird zu einzelnen Wörtern wiederum assoziiert, bis man zum Kernthema kommt. Besonders bedeutend ist hier das Schreiben gegen einen Widerstand. Warum tritt der Widerstand auf, was oder wen will er schützen? Erst später beginnt dann das Interpretieren des Geschriebenen.

Automatisches Schreiben der Surrealisten: gilt als eine Urform der Schreibtherapie und ist eng verwandt mit der Methode der freien Assoziation. Die KlientIn schreibt, während der Geist abgelenkt ist. Auf diese Art kann man an unbewusstes Material herankommen. Die Methode ist auch mit dem Freewriting verwandt.

Freewriting: innerhalb eines vorher festgesetzen Zeitrahmens wird zu einem bestimmten Thema geschrieben, das die KlientIn gerade beschäftigt.

Expressives Schreiben nach James W. Pennebaker: über einen gewissen Zeitraum hinweg wird jeden Tag jeweils 15-20 Minuten zu einem persönlich belastenden Erlebnis geschrieben. Expressiv bedeutet in diesem Zusammenhang ein inneres Sich-Öffnen und alle Gedanken zuzulassen. Positive Effekte dieser Technik auf körperliche und seelische Gesundheit wurden bereits durch zahlreiche Studien nachgewiesen.

Aktive Imagination: man stellt sich ein Problem vor und schreibt die Bilder dazu auf. Hierbei tauchen nach dem Psychoanalytiker C.G. Jung oftmals auch Archetypen auf. Verwandt mit der mythologischen Imagination der ExpressionistInnen, die sich der aktiven Bearbeitung von Märchen widmet.

Meditatives Schreiben nach Hilarion Petzhold: die KlientIn versetzt sich in einen meditativen Zustand und arbeitet mit Material aus dem Unbewussten. Auch Gedanken und Gefühle, die dabei auftauchen, werden aufschreiben. Wenn keine Gedanken mehr kommen, macht die KlientIn einen Strich auf das Blatt, sobald wieder Gedanken oder Gefühle kommen, schreibt sie weiter, dann wieder ein Stich und so weiter. Ergibt sich ein Muster?

Nonsense-Poetry nach Jacob L. Moreno: Gedichte werden aus dem Stegreif erfunden.

Cluster/Brainstorming: Im Zentrum steht ein Wort, zu dem Ideennetze geknüpft werden. Den Gedanken lässt man dabei freien Lauf. Verwandt mit der freien Assoziation, aber enger mit dem ursprünglichen Wort verknüpft als diese.

Mindmapping: ähnlich wie Clustering, doch sortierter.

Technik des analogen Gestaltens: hier wird ein bereits bestehender Text eines Dichters imitiert.

Tagebuchschreiben: wohl die bekannteste Form des therapeutischen Schreibens. Kann auch gezielt in verschiedenen Psychotherapien zum Einsatz kommen.

Mittlerweile wird therapeutisches Schreiben auch außerhalb klassischer Psychotherapien eingesetzt: In der Heilpädagogik, in therapeutischen Schreibgruppen, in der Erwachsenenbildung bis hin zur Sterbebegleitung von Menschen. Therapeutisches Schreiben kann dabei einzeln oder in Gruppen stattfinden. Dem Schreiben, aber auch dem Hören von Geschriebenem wird dabei eine karthartische Wirkung zugeschrieben, die einen positiven Einfluss hat. Da das Niederschreiben von belastenden Gedanken und Erlebnissen auch zu einem Kontrollverlust der Person führen kann, werden solche Angebote zum therapeutischen Schreiben zumeist von PsychotherapeutInnen geleitet.

Auch in der Selbstanalyse kommen verschiedene Methoden des therapeutischen Schreibens zum Einsatz. Dies kann in klassischer Form mit Hilfe der freien Assoziation geschehen, aber auch durch den gezielten Einsatz eines Tagebuchs.

Die aktive Beschäftigung mit Literatur und verschiedene Methoden des kreativen Schreibens werden aber nicht nur innerhalb von Therapien eingesetzt, um den Erfolg dieser Therapien positiv zu beeinflussen, umgekehrt hatten und haben auch unterschiedliche Therapieansätze einen Einfluss auf literarisches Arbeiten. Diese Ansätze kommen vor allem während der Phase der Ideenfindung, der Plotgestaltung sowie in Phasen des „Steckenbleibens“ zum Einsatz.

Der kreative Schaffensprozess kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden: in der Inspirationsphase sammelt die AutorIn Ideen oder Informationen, in der Inkubationsphase beschäftigt sie sich mit dem gesammelten Material gedanklich oder schriftlich, in der Illuminationsphase kommt es zur Erkenntnis, wie das Gesammelte verwendet werden kann, in der Verifikationsphase findet schließlich die Aus- bzw. Umarbeitung von Texten statt. Diese Phase entspricht den 4 Phasen der Psychoanalyse: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten, Integrieren und muss natürlich ebenso wie dort auch als ein zyklischer Prozess verstanden werden.

Aus dieser Parallele ergibt sich die Nähe der oben aufgelisteten Methoden zur Psychoanalyse. Alle Methoden können von AutorInnen während ihrer literarischen Schaffensarbeit verwendet werden. Freie Assoziation oder aktive Imagination eignen sich dabei besonders zur Ideenfindung. Automatisches oder expressives Schreiben eignen sich dazu, Schreibblockaden zu überwinden, die Methoden des Clustering oder Mindmapping eignen sich dazu, bestehendes Material zu ordnen.

Wer mehr über bestimmte Personen in einer entstehenden Geschichte herausfinden möchte, kann es einmal mit literarischen Aufstellungen nach Christoph Altmann versuchen. Diese Methode ist der systemischen Familientherapie entnommen und wurde für die literarische Arbeit adaptiert. In der Aufstellungsrunde werden Personen als sogenannte StellvertreterInnen ausgewählt und von der AutorIn im Raum platziert. Die Personen stehen stellvertretend für einzelne Romanfiguren oder auch für abstrakte Begriffe wie Liebe, Tod, Erfolg. Danach werden die StellvertreterInnen über ihr Befinden befragt. Hieraus ergibt sich ein dynamisches Bild, das neue Aspekte für die AutorIn aufbringt. Sie hat anschließend auch die Möglichkeit, ihre Figuren anders zueinander zu platzieren und die Effekte dessen auszuloten.

Weiterführende Literatur:

  • Erdrich, Stefanie, Wo literarische Figuren zum Leben erweckt werden. Christoph Altmann, Gastgeber und Moderator von Literarischen Aufstellungen, im Gespräch mit Stefanie Erdrich, Federwelt Nr. 81 April/Mai 2010.
  • Heimes, Silke, Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2013.
  • Horn, Andrea, Expressives Schreiben als Copingtechnik: Ein Überblick über den Stand der Forschung, Verhaltenstherapie 2004, 14, 274-83.
  • Kneisler, Lena, Wirkungen des Expressiven Schreibens auf depressive Patienten einer Rehabilitationseinrichtung, Dissertation, Universität Ulm, 2009.
  • Vopel, Klaus, Expressives Schreiben. Ein Programm zur seelischen Immunisierung, 2006.
  • Winnewisser, Sylvia, Einfach die Seele frei schreiben, humboldt, Hannover, 2010.