Kreatives Schreiben mit Gefängnisinsassen

Ich freue mich sehr, dass mein Kollege Anton Christian Glatz und ich seit nunmehr 10 Jahren das Projekt “Workshopreihe zum literarischen Schreiben mit Insassen der Justizanstalt Graz-Karlau” durchführen können. Im Rahmen des Projektes werden mit den Teilnehmern Gedichte, Kurzprosa sowie szenische Umsetzungen zu unterschiedlichen literarischen Gattungen erstellt. Die entstandenen Texte wurden durch uns Leiter in den vergangenen Jahren bereits in zwei Anthologien veröffentlicht. Die erste trug den Titel “Gut bei Gegenwind” und ist 2014 im Eigenverlag Simone Philipp erschienen. Die zweite “Vom Öffnen schwerer Türen” wurde 2015 vom Esch Verlag, Potsdam, auf den Markt gebracht. In der Projektrunde 2016/17 wurde gemeinsam mit den Teilnehmern ein Hörspiel erarbeitet und vertont. Dieses trägt den Titel “Ein Ring zwischen Traum und Wirklichkeit”. Im Projektjahr 2017/18 wurde eine Projekthomepage mit Texten der Teilnehmer erarbeitet. Diese steht unter folgendem Link zur Verfügung: https://literatur-in-der-karlau.jimdofree.com/

Gefördert wird das Projekt durch das Kulturamt der Stadt Graz sowie die Justizanstalt Graz-Karlau, denen wir an dieser Stelle herzlich danken möchten.

Folgender Artikel von mir zum Projekt ist 2014 in der Zeitschrift Federwelt (Ausgabe August/September 2014) erschienen:

Schreibkurse und ihre Orte – Diesmal: Schreiben im Knast

„Tatsächlich brauchst du nur `ne Perspektive und nicht Jahre in ´nem Kerker“ (Donnie La, Häftling)

Der erste Workshop-Tag: Nervös warten wir im Eingangsbereich, der Grazer Schriftsteller Anton Christian Glatz und ich. Bis er uns endlich in Empfang nimmt, der Leiter der Bildungsabteilung, den ich für diesen Artikel Herrn Paldauer taufe. Unsere Jacken werden kontrolliert und unsere Identität geprüft. Zum Glück habe ich an meinen Reisepass gedacht. Der Pass bleibt zurück an der Einlasskontrolle.

Mit einem Nummernbändchen um das Handgelenk betreten Anton und ich zum ersten Mal den inneren Teil eines Gefängnisses. Ein Sicherheitsbeamter begleitet uns: durch viele verschlossene Abschnitte hindurch und über den Hof des Gefängnisses hinweg bis zu dem Raum, in dem unsere Schreibworkshops stattfinden sollen. Meine Anspannung löst sich ein wenig und ich atme auf. Wir sind in einer Art Klassenraum, nur die Gitter vor den Fenstern machen deutlich, wo wir uns befinden.

„Dies ist der gelockerte Vollzugsbereich der Anstalt“, erklärt uns Herr Paldauer. „Die Häftlinge können sich hier schon relativ frei bewegen. Wer sich hier aufhalten darf, hat schon einen Teil seiner Haftstrafe verbüßt.“

Ein schwieriger Beginn

Die literarische Workshop-Reihe mit Insassen (alles Männer) des Hochsicherheitsgefängnisses Karlau in Graz begann im November 2013. Dieses Projekt überhaupt auf die Beine zu stellen, ist ganz schön kompliziert gewesen. Zwar zeigte Herr Paldauer sofort beim ersten Telefonat Interesse für unser Projekt. Und war nach dem persönlichen Kennenlernen auch regelrecht begeistert von unserem Vorhaben und dem Konzept, das wir präsentiert hatten. Dennoch tat man sich in der Haftanstalt schwer, eine Gruppe von geeigneten Häftlingen zusammenzustellen. An den Workshops durften nur Insassen teilnehmen, die bereits einen Teil ihrer Haftstrafe verbüßt hatten und die als nicht mehr gefährlich galten. Dazu kam, dass die Insassen nicht dazu verpflichtet werden konnten, an den Workshops teilzunehmen, dies mussten sie freiwillig machen. Da unser Angebot auch und gerade vom Ideen- und Kritik-Austausch der Teilnehmer untereinander leben sollte, brauchten wir mindestens sechs Freiwillige.

Erst beim zweiten Anlauf gelang es der Haftanstalt, eine ausreichend große Gruppe Interessierter zu finden. Doch noch konnten die Workshops nicht beginnen: Es fehlte die Finanzierung. Da die Gefängnisleitung das Projektbudget nicht übernehmen konnte, entschlossen Anton und ich uns, bei der Stadträtin vorzusprechen, die für Kultur zuständig ist. Aufgrund der Ausrichtung, die wir dem Projekt geben wollten, erschien sie uns als geeignete Ansprechpartnerin. Bei einem persönlichen Termin stellten wir ihr unsere Überlegungen vor und baten sie um Zusicherung der Kostenübernahme. Obwohl auch die Stadträtin begeistert von unseren Plänen war, wurde uns nur die Hälfte unseres ohnehin sehr niedrig angesetzten Budgets bewilligt. 700 Euro erhielten wir für die Umsetzung des Projektes. Obwohl dies für Anton und mich kaum mehr als ein Taschengeld bedeutete, entschieden wir uns, das Projekt durchzuführen, denn wir hatten Feuer gefangen. Die Idee zu diesem Projekt war uns bei einem unserer zahlreichen Caféhaus-Treffen gekommen, bei denen wir immer wieder auch Ideen über mögliche Projekte austauschen. Mit Insassen eines Gefängnisses hatte noch keiner von uns je gearbeitet. Auf diese Herausforderung wollten wir nicht verzichten, schon gar nicht aus finanziellen Gründen.

Literatur: Nur was für Privilegierte?

Die Produktion von Literatur wird oft nur einem engen Kreis von privilegierten Personen zugesprochen. Doch Literatur darf nicht nur innerhalb eines Elfenbeinturms bestehen; sie muss sich bewähren im wirklichen Leben, auch und gerade dort, wo ein rauerer Wind weht.

Kreatives Schreiben als Bildungsangebot. Als Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit auszuformen und weiterzuentwickeln. Literatur auch als ein Fenster, ein Fenster hinein eine Welt jenseits von einengenden Mauern. Die Beschäftigung mit Literatur als ein Recht, das allen Menschen zusteht, unabhängig davon, in welcher Situation sie sich befinden.

Dies und nicht weniger war der Anspruch, den Anton und ich vertraten, als wir dieses Projekt durchführten. Unsere Workshop-Reihe zum Kreativen Schreiben verstanden wir als ein Angebot an die Teilnehmer, mehr über sich selbst zu erfahren und die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

Von der Anekdote zu Gedichtformen

Die Workshops begannen mit einer Gruppe von elf Personen, die sich bald auf einen harten Kern von sieben Männern verkleinerte. Einige von ihnen konnten sich zu Beginn der Workshops kaum schriftlich ausdrücken und hatten auch Probleme mit der deutschen Rechtschreibung. Andere hatten bereits Schreiberfahrungen sammeln können, manche vor ihrer Haftzeit, manche erst im Gefängnis, etwa als Mitarbeiter der Anstaltszeitung. Was für uns wirklich schön war: Die Workshops waren für die Teilnehmer nicht nur kleine Fluchten vor der tristen Gefängnisroutine, alle Männer zeigten wirkliches Interesse an den Inhalten.

„Ich hab immer nur journalistisch gearbeitet“, meinte ein Insasse zu Beginn des Projektes. „Jetzt möchte ich auch andere literarische Gattungen kennenlernen.“

„Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, warum ich da bin“, erklärte ein anderer. „Der Leiter der Bildungsabteilung hat gemeint, das sei gut für mich. Also schau ich’s mir jetzt mal an.“

Über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr gingen Anton und ich ein Mal pro Monat ins Gefängnis. In den zwei Stunden, die uns jeweils zur Verfügung standen, befassten wir uns stets mit einem anderen literarischen Genre. Wir begannen mit kleinen, persönlichen Anekdoten aus dem Leben der Teilnehmer vor ihrer Inhaftierung, gingen über zu einfachen Gedichtformen wie Haiku oder Elfchen und arbeiteten mit Sprachspielen wie Akrosticha. Darauf folgten Fabeln und am Schluss schrieben wir klassische Kurzgeschichten.

Zu Beginn jeder Einheit erhielten die Teilnehmer von uns eine detaillierte Einführung in das jeweilige Genre. Anschließend stand ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung, um sich in kleinen Übungen im jeweiligen Genre selbst auszuprobieren. Darauf folgte das Vorlesen der erstellten Texte sowie Kritik zu Aufbau, Sprache und Inhalt von uns und den Teilnehmern. Darüber hinaus diskutierten wir auch über Grundsätze des literarischen Schreibens. Wir sprachen über die Stilistik der deutschen Sprache, gaben den Teilnehmern hierzu Dos and Don’ts an die Hand, erklärten ihnen den Aufbau von Spannung, erläuterten Fachbegriffe wie den Plot oder was ein Protagonist ist. Und wir machten ihnen deutlich, was notwendig ist, um Texte von guter literarischer Qualität zu verfassen: Zeit für regelmäßiges Schreiben sowie das konsequente, mehrmalige Überarbeiten der eigenen Texte. Immer hatten wir schriftliche Unterlagen mit detaillierten Erklärungen und Beispielen zum jeweiligen Genre für die Teilnehmer vorbereitet. Bis zum nächsten Termin hatten sie dann Zeit, weiter an ihren Texten zu arbeiten.

Persönlichkeitsentwicklung durch Kreatives Schreiben

„Bildung ist das einzige, was wir im Gefängnis anbieten können, das wirklich zur Resozialisierung der Insassen beiträgt“, so der Leiter der Bildungsabteilung.

Bildung bedeutet im Gefängnis jedoch meist das Nachholen von Pflichtschulabschlüssen oder das Absolvieren einer Ausbildung. Für kreative Bildungsangebote fehlt es nicht nur am Geld innerhalb der Haftanstalten, sondern auch an Verständnis; denn warum sollen Gefangene malen oder schreiben dürfen, wenn sie dort auf Kosten der SteuerzahlerInnen untergebracht sind? Eher wird ihnen zugesprochen, im Gefängnis eine Ausbildung zu machen, damit sie durch produktive Arbeit einen Teil ihrer Schuld zurückzahlen können. Alles andere wird als unnötig angesehen.

Doch dieser Meinung sind Anton Glatz und ich nicht. Sich schriftlich ausdrücken können in einer Art und Weise, dass die eigenen Gedanken und das innere Erleben auch für andere Menschen nachvollziehbar werden, ist wesentlich für die erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft. Bedenkt man, dass der Anteil an Analphabeten und Menschen ohne abgeschlossene Schulbildung im Gefängnis besonders hoch ist, dann wird klar, dass die Beschäftigung mit Sprache einen wesentlichen Teil von Bildung darstellt.

„Früher hab ich mich nie getraut, irgendwem zu schreiben, weil ich es so schlecht konnte. Gestern Abend aber habe ich einen Brief an meine Kinder verfasst“, sagt ein Teilnehmer über seine persönliche Entwicklung.

Eine freundliche Atmosphäre

Zu Beginn der Workshops war die Atmosphäre zwischen den Teilnehmern und uns angespannt. Anton und ich waren zurückhaltend den Männern gegenüber, weil wir nicht wussten, mit wem wir zusammentreffen würden und wie wir mit ihnen umgehen konnten. Die Teilnehmer waren ebenfalls misstrauisch, da es das erste Angebot dieser Art in diesem Gefängnis war. Zudem stellte auch die Tatsache, dass ich eine Frau bin, eine gewisse Herausforderung dar und führte auch manches Mal dazu, dass die Teilnehmer mich provozierten. Doch das legte sich rasch und das gegenseitige Verhältnis wurde von Mal zu Mal freundlicher, beinahe freundschaftlich. Kaum noch nahmen wir wahr, dass wir im Gefängnis arbeiteten. Besonders schön war für Anton und mich die Beobachtung, wie die Teilnehmer sich entwickelten. Teilnehmer, die zu Beginn der Workshops angegeben hatten, über keine Fantasie zu verfügen, lernten, aus ihren inneren Vorgängen heraus Geschichten zu erfinden. Teilnehmer, die anfangs eher Unruhe in die Gruppe gebracht hatten, konzentrierten sich im Lauf der Zeit immer mehr darauf, ihre Energie in die entstehenden Texte zu investieren. Erstaunt hat uns auch, wie offen alle mit Kritik umgingen, ja geradezu begierig auf diese waren. Und vollkommen überrascht waren wir von der literarischen Qualität der Texte, die während der Workshops entstanden.

Bis heute wissen wir nicht, aufgrund welcher Vergehen die Teilnehmer einsaßen. Dies liegt weniger daran, dass wir mit den Teilnehmern nicht biografisch gearbeitet haben, als vielmehr daran, dass wir ihnen möglichst vorurteilsfrei begegnen wollten. Die Haftanstalt hatte uns im Vorhinein über die Geschichte der Teilnehmer informieren wollen. Wir lehnten dies ab.

Bereits beim ersten Treffen boten wir den Teilnehmern an, dass wir, sofern sie dies wünschten, aus den entstehenden Texten eine Anthologie zusammenstellen und in Buchform herausbringen würden. Bei einer öffentlichen Lesung im Gefängnis, bei der die Teilnehmer selbst ihre Texte lesen sollten, würde die Anthologie dann präsentiert werden. Uns war klar, dass dieses Angebot eine große Herausforderung darstellte: Denn für die Teilnehmer bedeutete es, sich selbst, also die eigene, mit einem Verbrechen beladene Person, den Blicken fremder Menschen auszusetzen und darüber hinaus die eigenen Texte einer öffentlichen Kritik zu unterwerfen. Auf der anderen Seite würde eine solche Anthologie aber auch ein Tor nach draußen sein für die Insassen, eine Möglichkeit des „Gehörtwerdens“: Hier sind wir! Wir haben euch etwas zu sagen. Hört uns zu!

Ziel erreicht?!

Sowohl die Anthologie als auch die öffentliche Lesung im Gefängnis waren ein voller Erfolg. In der Anthologie haben wir auf knapp hundert Seiten literarische Texte von guter bis sehr guter Qualität versammelt. Und zwar geordnet nach ihren jeweiligen Autoren, die, um ihre Privatsphäre zu wahren, unter Pseudonymen auftreten. An der Präsentation der Anthologie im Gefängnis durften etwa 20 Personen von Außen teilnehmen. Eine einzigartige Veranstaltung, denn gewöhnlich kommen Gefangene niemals in einer solchen Form mit „Menschen von draußen“ zusammen.

Dass wir unser Ziel erreicht haben, steht für Anton und mich fest.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal hier oben sitze und vor fremden Leuten meinen eigenen Text vorlese“, bringt ein Teilnehmer es auf den Punkt und macht damit deutlich, dass es uns nicht nur gelungen ist, mit Häftlingen hochwertige literarische Texte zu produzieren, sondern dass wir tatsächlich auch zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung beitragen konnten. Diese Tatsache erfüllt uns mit Stolz und wird auch Einfluss auf die weitere schriftstellerische Laufbahn von Anton und mir haben.

Gut bei Gegenwind heißt unsere Anthologie, denn Literatur finden wir gut: auch und gerade bei Gegenwind.